Redebeitrag von Dr. Karin Scheibe, kulturpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion

Der einer jüdischen Beamtenfamilie entstammende Philosoph Ernst Bloch musste ab 1933 als von den Nazis Verfolgter zunächst in demokratischen Ländern Europas Asyl suchen, bevor er 1938 in die USA emigrierte. 1948 wurde Ernst Bloch die Leitung des Instituts für Philosophie an der Universität Leipzig angetragen. 1949 wurde er zum Ordinarius dieses Instituts berufen und lehrte fortan in Leipzig. Im Jahre 1957 wurde Ernst Bloch wegen angeblicher Verführung der Jugend und Staatsfeindlichkeit das Vertrauen als Universitätslehrer entzogen, ihm der Zutritt zur Universität verboten und weitgehend auch jede öffentliche Wirksamkeit versagt. Am 13. August 1961 hielt sich Bloch in Bayern auf. Er kehrte nicht wieder nach Leipzig zurück, was die Leipziger Volkszeitung mit der Überschrift “Ernst Bloch, der zu Globke kroch” kommentierte. Die SPD-Fraktion stellte den Antrag, Ernst Bloch anlässlich seines 25. Todestages von am 4.8.2002 gemeinsam mit der Universität Leipzig an seiner langjährigen Wirkungsstätte in würdiger Form zu ehren. In seiner Geburtsstadt Ludwigshafen wie auch in seiner Sterbestadt Tübingen sind Straßen, Archive und Institute nach diesem großen Philosophen benannt. Da in Leipzig bereits eine Blochstraße existiert, muss eine andere Form gefunden werden. Die kulturpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Dr. Karin Scheibe, warb mit nachfolgendem Redebeitrag um die Zustimmung der Ratsversammlung für unseren Antrag:

“Ernst Bloch: Was tut man, wenn man ein Statement halten muss zu einem bedeutenden Namen? Man sieht zuerst in einem Lexikon nach. Mein Brockhaus nennt unter Bloch fünf Männer, allesamt Juden, alle fünf Wissenschaftler oder Künstler von Rang und Namen, zwei von ihnen Nobelpreisträger. Vier konnten sich dem Zugriff der Nazis entziehen, einer wurde von der Gestapo erschossen. Welcher Reichtum, welcher Verlust an Geist und Kultur. Der Philosoph Ernst Bloch, um dessen Ehrung die SPD-Fraktion aus Anlass seines 25. Todestages bittet, lebte von 1885 bis 1977. Aus dem Exil in den USA kehrte er 1948 nach Deutschland zurück. Er wurde zum Professor an die Universität Leipzig berufen und leitete dort das Institut für Philosophie bis zu seiner Zwangsemeritierung im Jahr 1957. Im August 1961, als die Mauer gebaut wurde, kam er von einer Reise nach Bayern nicht zurück. Er lehrte dann in Tübingen. Hans Mayer, seit kurzem Ehrenbürger unserer Stadt, folgte ihm zwei Jahre später. Mit dem Weggang dieser beiden war ein Kapitel in der Geschichte der Leipziger Universität beendet, das glanzvollste Kapitel in der Geschichte der Geisteswissenschaften im 20. Jahrhundert in Leipzig. Ich stehe nicht hier, um die wissenschaftliche Leistung Ernst Blochs zu würdigen. Das können andere besser. Ich stehe hier, um aus einer Außensicht für eine Ehrung von Ernst Bloch um Ihre Zustimmung zu bitten. Zum ersten möchte ich an die Zeit erinnern, in der Ernst Bloch in Leipzig war. Er hatte zwei Weltkriege und die Wirren der Weimarer Republik erlebt. Er kam, dem sicheren Tod durch die Nazidiktatur entronnen, nach Leipzig im Geist der Hoffnung, dass freie und kreative Menschen eine Utopie verwirklichen könnten zusammen mit Trägern der Macht. Und er traf, so musste er schmerzhaft erkennen, auf eine neue Diktatur, in der dogmatische Parteifunktionäre direkt und indirekt mit den miesesten Mitteln seine Arbeit behinderten und zerstörten. Welches Geflecht von Denunziation und Intrigen! Bei der Sicht auf Bloch sollten wir diese schlimme Zeit einbeziehen. Das würde ein objektives Bild geben für sowohl diejenigen, die seine Ansichten ablehnen, als auch für solche, die in der jetzigen Demokratie nicht ihre wahre Freiheit verwirklicht sehen. Daran schließt sich mein zweiter Gesichtspunkt an. Ernst Bloch war ein integrer Mensch. Seine Lehre und sein Handeln stimmten überein. In unserer aufs Materielle und Finanzielle ausgerichteten Welt sollte man sich daran erinnern, dass sich ein aufrechter Gang für einen selbst lohnt, indem er das Selbstbewusstsein, das Innere stärkt, — dass ein aufrechter Gang aber selten belohnt wird. Man kann heute frei wählen – unter anderen Bedingungen als Bloch. Das ist der große Unterschied. Zum Dritten: Wer den Namen Ernst Bloch hört, denkt meist auch an das “Prinzip Hoffnung”. Das Schlagwort hat sich verselbständigt und wird meist verwendet im Sinn: “Für jede verfahrene Situation findet sich noch ein Fünkchen Hoffnung”. So aber ist dieser Begriff von Bloch nicht gemeint. Er steht für eine “Philosophie der Hoffnung”. Hoffnung sei die treibende Kraft für die Entwicklung zu einer freien Gesellschaft. Das war Blochs Vision. Visionen aber brauchen wir, und Werte, an denen wir uns orientieren können. Ich bitte auch deshalb um Ihre Zustimmung für unseren Antrag und danke Ihnen, dass Sie mir zugehört haben.”