Redner: Dr. Joachim Fischer, SPD-Fraktionsvorsitzender

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, sehr geehrter Herr Staatsminister, sehr geehrte Herren Rektoren, sehr geehrter Herr Walther, verehrte Gäste, meine Damen und Herren,

es sind jetzt knapp 10 Jahre vergangen, seit sich am 22. Januar 1992 die Stadtverordneten in diesem Saal mit Fragen der Hochschulpolitik in Leipzig beschäftigt hatten. Zehn Jahre sind eine lange Zeit, aber nicht nur deshalb, hat meine Fraktion die heutige Sondersitzung beantragt. Es schien uns dringend an der Zeit zu sein, dass sich der Stadtrat erneut mit der Hochschulpolitik in unserer Stadt beschäftigt. Zum einen, um Bilanz zu ziehen, um über aktuelle Probleme, Sorgen und Nöte zu diskutieren, zum anderen aber auch, um in die Zukunft zu blicken.

Meine Damen und Herren,

seit ihrer Gründung im Jahre 1409 ist die Universität mit der Stadt Leipzig und ihren Bürgern auf das Engste verbunden. Nicht umsonst befindet sie sich mitten im Zentrum der Stadt. Mit der industriellen Entwicklung der Stadt im 19. Jahrhundert wurden neue Bildungseinrichtungen auf technischen, wirtschaftswissenschaftlichen und künstlerischen Gebieten gegründet. Der erste Bruch mit ihren alten Traditionen als freie, in die Region ausstrahlende Zentren demokratischen Kultur- und Geisteslebens erfolgte nach 1933 durch die braunen Machthaber. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges erhoffte man sich eine Anknüpfung an die alten Traditionen, und es gab zunächst auch zaghafte Anzeichen dafür. Mit der Festigung der SED-Herrschaft entwickelten sich die Leipziger Universität und die Hoch- und Fachschulen jedoch mehr und mehr zu ideologisch geprägten Hochburgen. Mit dem politischen Umbruch 1989/1990 hat sich in der Hochschullandschaft eine umfassende personelle und fachlich strukturelle Erneuerung vollzogen. Das ging bedauerlicherweise mit einem drastischen Stellenabbau einher. Von 12.000 Stellenkürzungen in Sachsen waren allein die Leipziger Hochschulen mit über 6.000 betroffen! Trotzdem hat sich die Zahl der Studierenden bis zur Jahrtausendwende mehr als verdoppelt. Der Zusammenbruch der ostdeutschen Industrieforschung wirkte sich zusätzlich verschärfend auf die Probleme beim Umbau der Wissenschaftslandschaft in den neuen Ländern aus. Die Stadt Leipzig hat sich von Beginn an in die Neugestaltung eingebracht, wohl wissend, dass Bildung und Forschung wesentliche Wirtschaftfaktoren sind. Ziel der Stadt war und muß bleiben, sich als Stadt der Wissenschaften zu profilieren. Gerade dieses Zusammenspiel zwischen Stadt, Universität und den anderen wissenschaftlichen Einrichtungen hat von Beginn an zum Aufblühen unserer Stadt beigetragen.

Meine Damen und Herren,

die Stadt Leipzig verfügt auch heute noch über sehr gute Ausgangsbedingungen. Hoch- und Fachschulen bieten über 30.000 Studierenden hervorragende Bildungsmöglichkeiten. Zudem ist Leipzig auch Sitz einer nicht unerheblicher Anzahl international hoch geschätzter Forschungseinrichtungen. Leipzig, Kern des Ballungsraumes Leipzig/Halle mit 1,6 Mill. Einwohnern, ist durch seine geografische Lage im Zentrum Europas und an der Schnittstelle zwischen EU und dem östlichen Wirtschaftsraum prädestiniert, erhebliche Zentralitäts- und Konzentrationsvorteile zu erreichen. Auf den Gebieten Wissenschaft und Industrie verfügt die Region über große Potentiale, insbesondere in der Chemie, Bio- und Informationstechnologie sowie der Umweltforschung. Die Medien – und Telematikbranche zählen heute zu den technologischen Schlüsselbereichen, die als Wachstumsbranchen die gesamte wirtschaftliche, beschäftigungspolitische und kulturelle Entwicklung des Standortes Leipzig bestimmen werden.

Daneben gilt es weitere Zukunftstechnologien zu entwickeln. Das kann nur über eine allseitig gesicherte Verknüpfung von Wissenschaft und Wirtschaft in Leipzig geschehen. Der Ruf nach einer verstärkten hochqualifizierten einheimischen Ingenieurausbildung für die Weiterentwicklung zukunftsträchtiger Branchenprofile ist dafür nur ein Beispiel. Die vorhandene Profilierung in Ausbildung und Forschung, insbesondere mit den Fachschwerpunkten Ingenieurwesen, Biotechnologie und Informatik muss weiter ausgebaut werden, um mit einer technologieorientierten Ausbildung die Wirtschaftskraft der Region Leipzig zu stärken. Der Aufbau einer gesunden, selbsttragenden wirtschaftlichen Basis des Landes Sachsen muß primär auf die Entwicklung intelligenzintensiver innovativer Produkte und Verfahren sowie auf die Bildung als wertvolles Exportgut setzen.

Sehr geehrter Herr Staatsminister Meyer,

als Stadträte wissen wir nur zu gut, was Haushaltzwänge bedeuten. Uns ist auch durchaus bewusst, dass der Freistaat ebenso wie wir unter Haushaltzwängen steht. Trotz aller Konsolidierungsbemühungen haben wir in Leipzig aber stets Investitionen in die Zukunft von Kürzungen ausgenommen. Genau das tut jedoch die Sächsische Staatsregierung nicht, wenn sie im Hochschulbereich die Mittel kürzt und Stellen abbaut.

Im Januar 2001 schrieben Leipziger Studenten mit großer Besorgnis an die Klagemauer der Universität, dass rund 1715 Stellen an den Hochschulen des Freistaates bis 2009 gekürzt werden sollen. Allein auf die Leipziger Hochschulen würden davon 450 Stellen entfallen. Bereits der Doppelhaushalt 2001/02 sieht vor, 35 Stellen an der Universität Leipzig durch die Landesregierung zu streichen. Wenn nun dazu noch die im Juli vom Staatsminister der Finanzen verfügte Haushaltsperre für 30 % der Sachmittel kommt, ist die Schmerzgrenze ganz offensichtlich überschritten. Wenn dann ein Mann, wie der Kanzler der Universität Leipzig – der ganz sicher nicht für spektakuläre Aktionen bekannt ist – mit einer außergewöhnlichen Maßnahme in die Öffentlichkeit geht, kann sich jedermann das Ausmaß der Finanzmisere ausmalen. Nicht auszudenken, welche Beschädigung ihres Rufes die Hochschulen in Leipzig erleiden, wenn sich herumspricht, dass in Leipzig bei Wissenschaft und Forschung auf Sparflamme gekocht wird. Deshalb fordern wir die Staatsregierung dringend zum Umsteuern auf. Es ist zwar spät, aber noch nicht zu spät! Bildung bedeutet Zukunft, Kürzungen schädigen unsere Hochschulen, unser Land, die Stadt und die Region. Die SPD-Fraktion unterstützt deshalb den weiteren Ausbau des Wissenschafts- und Hochschulstandortes Leipzig und spricht sich einhellig gegen die Kürzungen der Landesregierung aus.

Meine Damen und Herren,

bekanntlich hat jedoch jede Medaille zwei Seiten. Deshalb haben wir nicht nur Forderungen an den Freistaat, sondern selbstverständlich auch an die Hochschulen, wissenschaftlichen Einrichtungen und nicht zuletzt an die Stadt Leipzig selbst:

  • Bei der Kooperation zwischen Universität, Hoch- und Fachschulen sowie Forschungseinrichtungen ist nach Wegen zu suchen, die schneller als bisher zu Ergebnissen führen. Die Schwierigkeiten in Bezug auf die Gründung der School of Media Leipzig ist ein Beispiel, das sich nicht wiederholen darf.
  • Von den Leipziger Hochschulen erwarten wir eine stärkere internationale Ausrichtung des Studienangebots und die Einführung international anerkannter Studienabschlüsse sowie einen modulartigen Aufbau der Studiengänge. Die SPD-Fraktion verspricht sich davon eine erhöhte Attraktivität, nicht nur für ausländische Studierende.
  • Die SPD-Fraktion unterstützt den Vorschlag, an der Universität Leipzig in Kooperation mit der HTWK ein Technisches Kompetenzzentrum für innovative Wissenschaftsentwicklung einzurichten. Mit anfänglicher Unterstützung durch die Leipziger Stiftung Innovation und Technologietransfer wäre das ein – wie wir glauben – zukunftsfähiger Schritt auch im Hinblick auf die Schaffung neuer Arbeitsplätze.
  • Die Ausstrahlung der Universität, der Hochschulen und Forschungseinrichtungen auf das gesamte öffentliche Leben in Leipzig – besonders durch ihre Hochschullehrer – muß erheblich verbessert werden.
  • Von den wissenschaftlichen Einrichtungen als Quellen potentieller Existenzgründer erwarten wir, dass sie die Schaffung wirtschaftlicher Existenzen für ihre Absolventen in der Stadt und mit Unterstützung durch die Stadt Leipzig fördern. Die Absolventen müssen durch geeignete Ausbildungsmaßnahmen auf die wirtschaftliche Selbstständigkeit vorbereitet werden.
  • Die Stadt Leipzig sollte verstärkt als Moderator zur Bündelung der Aktivitäten zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, zwischen den Hochschulen, Kapitalgebern sowie Verbänden und Kammern fungieren. Die Stadtverwaltung fordern wir deshalb auf, die Voraussetzungen zu schaffen, um eine vertiefte Partnerschaft und Kooperationsbereitschaft zwischen den Hochschulen, der Industrie, Handwerk und Gewerbe, der Stadt und der Region zu erreichen.

Meine Damen und Herren,

Gestatten Sie mir noch eine Schlussbemerkung: Aus unserer Sicht ist die Lage ernst, sehr ernst, aber durchaus nicht hoffnungslos. Ein “Weiter so!” darf es auf keiner Seite geben. Von der heutigen Beratung erhoffen wir uns deshalb, dass bei allen Beteiligten das Gespür für die jeweiligen Sorgen und Nöte des anderen geschärft wird, Notwendigkeiten erkannt und anerkannt werden und Anregungen für die weitere Arbeit mitgenommen werden können. Wenn dadurch ein besseres Miteinander erreicht werden kann, ist uns um die Zukunft des Hochschul- und Wissenschaftsstandortes Leipzig ganz gewiss nicht bange.