Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Damen und Herren Stadträte,
werte Gäste!

Die heutige Sondersitzung des Stadtrates ist ein weiteres Kapitel in der Familiensaga der Stadt Leipzig und ihrer Töchter, Enkel und Urenkel – eine unendlichen Geschichte, die noch vor der Gründung der LVV vor 15 Jahren begann und sicherlich noch viele Jahre als Fortsetzungsroman weiter geschrieben werden wird. Vielleicht gibt es auch eines Tages hierzu eine Telenovela, die dann über schnelle Datenleitungen zehntausendfach konsumiert werden kann.

Auch das heute zu behandelnde Kapitel hat eine sehr lange Vorgeschichte. Die meisten Protagonisten der Vergangenheit, darunter ein paar große und kleine Könige, aber auch eine ganze Reihe Vasallen sind einem großen Teil, der heute hier in diesem Saal in Verantwortung für unsere Stadt stehenden Stadträte, Bürgermeister, Oberbürgermeister und Geschäftsführer nicht einmal mehr vom Namen her bekannt.

Noch weniger gegenwärtig sind fast allen Anwesenden hier im Saal die konkreten Umstände und Hintergründe, warum 1997 – Stichwort Gesellschafterdarlehen oder 2003 – Stichwort Rückkauf von 40% SWL-Anteilen, die Entscheidungen, übrigens alle durch Beschlüsse des Stadtrates untersetzt, so und nicht anders gefallen sind.
Deshalb ist es auch nicht opportun, ja sogar unredlich, die damaligen Entscheidungen mit dem Hintergrundwissen von heute per se mit dem Attribut „falsch“ oder „richtig“ zu belegen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Parlamente, also auch der Stadtrat, entscheiden nicht jedes Mal vom Grundsatz her neu, auch nicht wenn politische Mehrheiten wechseln.
Sondern, sie bauen auf demokratisch legitimierten Entscheidungen auf und haben die Pflicht, diese Entscheidungen jeweils neuen Gegebenheiten gegenüber anzupassen.

Warum hole ich soweit aus? Weil ich den Eindruck habe, dass es auch unter uns Stadträten einige gibt, die sich vor dieser Verantwortungsübernahme scheuen. Ja mehr noch, ich habe den Eindruck, und das ist mir in den letzten Wochen mehr als klar geworden, das der gesamte Stadtrat, mich und meine Fraktion eingeschlossen, seit 2008 nicht sorgsam genug mit der LVV–Problematik und den eigenen Beschlusslagen umgegangen ist.

Zum einen hat der Stadtrat im Oktober 2008 die Eigentümerziele für die LVV formuliert, darin u. a., dass die LVV im Konzern die vollständige Finanzierung des ÖPNV im steuerlichen Querverbund sicher stellt und die Tilgung des Gesellschafterdarlehens umsetzt.
Der Ehrlichkeit halber ist hinzuzufügen, dass darüber hinaus Erwartungen gegenüber der Geschäftsführung formuliert wurden, die zusätzliche Haushaltsbeiträge oder Investments beinhalteten und realisierten.

Im Ergebnis der Prüfung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der LVV vor allem in Bezug auf die Erwartungshaltung der Eigentümerin, also der Stadt Leipzig, hier vertreten auch durch den Stadtrat wurde dieser bereits spätestens mit der Ratsversammlung im Januar 2009 über eine finanzielle Deckungslücke bis 2012 in Höhe von 145 Mio. Euro informiert. 145 Mio. Euro – übrigens auch ein Ergebnis des Bürgerentscheides von 2008.
Die Reaktion des Stadtrates bis Mitte/Ende letzten Jahres: freundliche Kenntnisnahme und Hoffen auf bessere Zeiten.

Die LVV hat seit 2008 in immer kürzer werdenden Schritten dem Stadtrat gegenüber kein Hehl daraus gemacht, dass ein Baustein zur Verbesserung der Konzernfinanzierung die Veräußerung von Beteiligungen darstellt.
Der Oberbürgermeister hat pflichtgemäß und in Verantwortung für die Stadt und den Konzern gehandelt, durch Beschlussvorlagen im Aufsichtsrat und uns gegenüber.
Verzögert und gezögert hat wiederum der Stadtrat.
Ich persönlich werde diese defensive Haltung nicht mehr verantworten wollen.

Worum geht es?
Zu allererst um die Erkenntnis, dass wir heute über die Leistungsfähigkeit der Gesamtstadt als Einheit von städtischem Haushalt und Konzernbilanz zu entscheiden haben. Und zwar ganz konkret bereits für den Haushalt 2011.
Mit der uns vorliegenden Beschlussempfehlung, die durchaus für eine ganze Reihe Stadträte, einen schwer verdaulichen Kompromiss darstellt, gehen wir über die reine Frage einer Teilprivatisierung von zwei kommunalen Unternehmungen deutlich hinaus. Es werden darüber hinaus Lösungen zur Neuordnung der Finanzströme zwischen LVV und Stadt angestrengt und es wird nach 2008 bereits erneut die Effizienz der Konzernstruktur hinterfragt. Beides muss sein.

Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Wenn wir heute diesen vorgeschlagenen Weg nicht gehen – andere, belastbare Lösungen wurden von den Kritikern leider bis heute nicht aufgezeigt – verschärfen wir das Finanzproblem der Stadt und des Konzerns in unverantwortbarer Art und Weise.
Sollte der Finanzbürgermeister durch den Stadtrat gezwungen werden, den Haushalt zu kassieren, plädiere ich persönlich für einen radikalen Schnitt bei den freiwilligen Leistungen. Im investiven Bereich dürfen wir den uns dann noch verbleibenden kleinen Spielraum für die Zukunftsgarantie unserer Stadt nicht verbauen.

Den Gegnern der heutigen Beschlusslage werfe ich falsches Spiel vor. Ehrlich wäre es von denen am vergangenen Sonnabend gewesen, wo durch den Finanzausschuss in Kenntnis der heutigen zu behandelnden Thematik weitere Ausgaben von über zwei Millionen beschlossen wurden, jegliche Ausgabenerhöhungen dann auch konsequenterweise abzulehnen. Der Topf ist leer gelöffelt.
Wer die Lösung in fiktiven Gewerbesteuereinnahmen sieht, möge daran denken, dass diese aus Unternehmensgewinnen fließen, zum weitaus großen Teil aus privatwirtschaftlich organisierten Unternehmen, die bei Ablehnung ein Signal aus dem Stadtrat erhalten, welches man auch so interpretieren kann: Unternehmer und deren Investments sind in dieser Stadt unerwünscht.