Redner: Christopher Zenker, Vorsitzender der SPD-Fraktion

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Kollegen Stadträte,
werte Gäste,

Deutschland ist seit vielen Jahrzehnten ein Einwanderungsland und diese Einwanderung hat Deutschland gestärkt. Nur, dass diese Tatsache gern negiert wird. Mir ist es jedoch wichtig, das hier explizit hervorzuheben. Wir dürfen Migration nicht auf Geflüchtete reduzieren, denn viele Menschen sind nach Deutschland und Leipzig gekommen und helfen uns direkt dem Fachkäftemangel zu begegnen.

In diesem Zusammenhang, auch wenn es Bundespolitik ist, möchte ich deutlich sagen: Wir brauchen ein Einwanderungsgesetz! Wir müssen legale Möglichkeiten der Zuwanderung schaffen, wie es sie in vielen Ländern bereits gibt.

Damit komme ich zum eigentlichen Thema dieser Bildungspolitischen Stunde: „Migration – Bildung – Integration“. Bildung ist eine Art Generalschlüssel zur Integration. Ganz gleich, woher die Menschen kommen oder wie lange sie in Deutschland leben. Vor dem Hintergrund der knappen Zeit möchte ich mich auf drei Schwerpunkte konzertieren: 1. frühkindliche Bildung, 2. Schulische und berufliche Bildung, 3. Integration in Arbeit.

  • Frühkindliche Bildung

Jeder, der Kinder hat, bekommt mit, wie schnell kleine Kinder lernen. Für Kinder in deren Elternhaus nicht deutsch gesprochen wird, ist der Besuch eines Kindergartens von großer Bedeutung. Dort saugen sie die deutsche Sprache faktisch nebenbei auf und müssen später keine DAZ-Klassen besuchen. Aktuell liegt die Betreuungsquote bei Kindern mit Migrationshintergrund über drei Jahren mit nur knapp 60 Prozent deutlich unter der von Kindern ohne Migrationshintergrund. Diese Quote müssen wir erhöhen. Das dazu ausreichend Betreuungsplätze notwendig sind, sollte allen klar sein.

Wir müssen, um die Eltern zu erreichen, innerhalb der Communities mehrsprachig informieren und den betroffenen Familien die besonderen Vorteile von Kitas nahebringen. Wir begrüßen daher, dass das Informationsmaterial inzwischen mehrsprachig vorliegt.

Neben der reinen Information sind aber auch Projekte wie zum Beispiel das in Israel entwickelte Programm HIPPY (Home Instruction for Parents of Preschool Youngsters) wichtig. Das Frühförderprogramm HIPPY richtet sich an sozial benachteiligte Kinder im Alter von vier bis sechs Jahren, vor allem aber an Familien mit Migrationshintergrund, die ihre Kinder nicht in eine Kita schicken. Durch regelmäßige Besuche von Frauen aus dem gleichen Kulturkreis, sollen die Kinder auf die Einschulung vorbereitet werden.

  • Schulische und berufliche Bildung

Grundsätzlich ist das sächsische DAZ-Klassensystem gut, da es Kinder und Jugendliche, die in ihrem Herkunftsland bereits Schulbildung bekommen haben, über intensives Deutschlernen an den Regelunterricht heranführt und nach und nach in die Regelunterricht integriert.

Ein besonderes Augenmerk müssen wir aber auf die Jugendlichen ab 16 Jahren legen, die im Herkunftsland keine oder nur eine geringe Schulbildung hatten und denen neben Deutsch auch andere grundlegende Kenntnisse vermittelt werden müssen. Das Problem verstärkt sich noch dadurch, dass im Freistaat Sachsen die Schulpflicht mit 18 Jahren endet, wobei egal ist, ob ein Schulabschluss vorliegt oder nicht. Für solche Falle wäre es zu begrüßen, die Schulpflicht bis zum 25. Lebensjahr auszuweiten. Ähnlich wie das im Bayern gehandhabt wird, wo beispielsweise die SchlaU-Schule – Schulanaloger Unterricht für Flüchtlinge – das Ziel hat, jungen Flüchtlingen im Alter zwischen 16 und 25 Jahren einen Schulabschluss und eine erfolgreiche Ausbildung zu ermöglichen. Neben dem Deutscherwerb und dem Nachholen von anderen Lerninhalten steht der soziale Austausch im Fokus. Außerdem gibt es psychologische Betreuungen für Schülerinnen und Schüler mit traumatische Erfahrungen. Im Schulkonzept werden zudem frühzeitig Praktika zur Berufsorientierung durchgeführt und der Einstieg in die Ausbildung begleitet.

Wir wünschen uns gemeinsam mit der Sächsischen Bildungsagentur ein ähnliches Pilotprojekt  für Leipzig. Partner könnten die Produktionsschulen werden, die Teile des Konzepts der SchlaU-Schulen bereits heute umsetzen.

Produktionsschulen können schon jetzt eine wichtige Rolle für den nachträglichen Erwerb eines Abschlusses spielen, denn auch sie setzen beim Ziel, Jugendliche in Ausbildung oder zu einem Abschluss zu bringen, auf einen hohen Praxisanteil. Das Angebot sollte auch in Leipzig ausgebaut werden.

  • Beruf

Auch im Berufsleben finden Integration und Bildung statt. Das heißt für uns, dass Flüchtlingen, natürlich unter Berücksichtigung ihrer bisherigen Ausbildung aus dem Heimatland, ein schneller Einstieg in den beruflichen Alltag, bspw. über Praktika, ermöglicht werden muss. Dazu müssen die Behörden deutlich schneller als bisher Bildungsabschlüsse anerkennen bzw. ggf. notwendige Nachqualifizierungen einleiten.

Auch der Weg, bis Geflüchtete überhaupt in die Jobvermittlung kommen, ist in Deutschland zu lang. Was dazu führt, dass aktive Vermittlung in der Phase der höchsten Motivation -im ersten Jahr – kaum stattfindet. Bei uns muss alles zertifiziert sein, so reicht es nicht aus, dass ein Geflüchteter sich gut verständigen kann, sondern es muss unbedingt ein Sprachlevelzertifikat vorliegen. Es gibt auch Flüchtlinge, die aufgrund selbst erworbenen Sprachkenntnissen gut in den Arbeitsmarkt integriert werden können. Aber auch im Beruf wird die Sprache trainiert, denn in der alltäglichen Kommunikation lernt man schneller als in jeder Sprachschule. Das Berufsleben sorgt nebenbei für soziale und gesellschaftliche Teilhabe.

In den USA beispielsweise wird das Hauptaugenmerk bei Zugewanderten darauf gelegt, dass sie einen Job finden bzw. sich selbstständig machen. Wir dagegen lassen das erste Jahr fast ungenutzt verstreichen und legen arbeitswilligen Geflüchteten sogar noch Steine in den Weg. Wir verbauen mit unserer Bürokratie Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben und eine schnelle Integration.

An dieser Stelle möchte ich auch erwähnen, dass mir eine Abschiebepraxis missfällt, die gut integrierte Flüchtlinge, die einer Arbeit oder Ausbildung nachgehen und sich in der Gesellschaft einbringen, abschiebt oder Aufenthalte nicht verlängert. Viel wichtiger wäre doch das Signal, dass Ausbildung, Arbeit, Bildung und Integration sich lohnen.

Statt die abzuschieben, die man aufgrund ihrer guten Integration schnell auffinden kann, sollten sich die Behörden den Personen widmen, die das gesellschaftliche Zusammenleben durch hochkriminelles Verhalten torpedieren, auch wenn das aufwendiger ist.

Wie bereits eingangs erwähnt, ist das Thema „Migration – Bildung – Integration“ ein sehr komplexes und vielschichtiges Thema und nicht in einer Stunde abzuhandeln. Wir müssen jedoch uns diesem Thema in all seinen Facetten stellen und hierbei auch neue Wege gehen. Der Schlüssel zu einer erfolgreichen Integration ist vor allem die Bildung. Perspektivlosigkeit und Untätigkeit sind die vermutlich größten Integrationshemmnisse.