Redner: Axel Dyck, Vorsitzender der SPD-FraktionAxel_Dyck2

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen Stadträte,
liebe Gäste!

Nahezu jede Erzählung vom 9. Oktober 1989 beginnt mit dem Aufruf der Sechs „Aus gemeinsamer Sorge und Verantwortung für unsere Stadt“ und endet mit dem Narrativ „Keine Gewalt“. Das müssen wir als Stadträte heute und auch in Zukunft beherzigen und von uns selbst aber auch von anderen einfordern.
Natürlich ist die gesellschaftliche Komplexität aus der heraus wir uns heute mit dem Thema Gewalt beschäftigen müssen eine andere als damals. Und trotzdem, Gewalt ist in unserer Gesellschaft allgegenwärtig, sehr facettenreich und im Täter- und Opferbild unterschiedlich determiniert. Das Schlimme ist, dass Gewalt offensichtlich offen wie versteckt eine nicht zu leugnende Akzeptanz auch in Teilen unserer Stadtgesellschaft besitzt.

Heute müssen wir im Rat über politische Gewalt und kriminellen politischen Extremismus sprechen.
Es beginnt mit Worten und einer Verrohung der Sprache auf öffentlichen Plätzen, in geschlossenen Räumen, in Briefen und Internetforen.
Auf meinen Einwurf vor wenigen Tagen in der LVZ, dass ich im letzen Jahr einen raueren Umgangston auch gegenüber uns ehrenamtlichen Stadträten verspüre, antwortet mir ein Akademiker „Das müssen Sie aushalten“.

Meine Damen und Herren, weder ich noch Sie, weder der Oberbürgermeister noch der Polizeipräsident – Niemand soll und muss das aushalten. Wir dürfen nicht so abstumpfen, dass uns das eines Tages egal ist.
Mit der Gewalt in der Sprache, sowohl im Gesprochenen als auch im Geschriebenen beginnt die Gewalt auf der Straße gegen Menschen und gegen Sachen. Hierzu darf es keine Akzeptanz und Toleranz geben.

Als ich am 12. Dezember gegen 13:00 Uhr, noch in der Hoffnung mich einem friedlichen Protest anschließen zu können, zur Paul-Gerhard-Kirche ging, hörte ich vor der Kirche Reden voller Hass auf die Polizei und Diffamierungen gegenüber den Polizeipräsidenten. Die Spirale der Gewalt begann mittags mit Worten und endete am Nachmittag in Straßenschlachten. Bereits vor 14:00 gab es am Südplatz Zerstörungen und bereitliegende Kleinpflasterhaufen. Die organisierte Gewalt war sichtbar.
Und ich sage es deutlich – das Jahr 2015 und der Beginn des Jahres 2016 war in unserer Stadt geprägt von einer Kette krimineller Anschläge gegen unseren demokratischen und freiheitlichen Staat – und zwar aus politisch extremistischen Positionen heraus.
Aus dem rechtspopulistisch verbrämten Nazismus mit unerträglichen Reden auf den Legida–Kundgebungen, die zur Gewalt aufrufen, heraus.
Aber auch aus dem Linksextremismus und Anarchismus heraus. Wer im Kontext mit Anschlägen von „militantem Antifaschimus“ (falscher Begriff, aber mit Vorsatz gewählt) spricht, darf sich nicht wundern, wenn folgerichtig auch die politische Zurechnung nach Links vorgenommen wird.

Nach dem vorläufigen Höhepunkt im Dezember waren praktisch die Scheunentore offen für den Beginn einer Gewalteskalation mit dem Zeug zu einer Gewaltspirale. Auch hier begleitet von Worten – der Landtagsabgeordnete Pohle forderte den Einsatz von Gummi-geschossen und nach der rechtsextremistischen Hooliganoffensive vom Montag letzter Woche führt die Landtagsabgeordnete Nagel eine Demonstration unter dem Motto „fight back – rechte Strukturen zerschlagen“ an. All das führt nicht zur Mäßigung – im Gegenteil.

Leipzig hatte vor allem in den 90er Jahren ein Gewaltproblem in Connewitz, aber auch in den 2000er Jahren rund um die rechtsextremen Worch – Demonstrationen.
Jede Gewalt war im gesellschaftlichen Umfeld aber anders eingebettet. Und deshalb darf es auch heute nicht auf die sehr komplexen politischen Zusammenhänge einfache Antworten geben, wie bspw. die reflexartige Infragestellung der soziokulturellen Zentren. Hier sind wir vielmehr auf eine fundierte Analyse, möglichst wissenschaftlich fundiert, angewiesen um in einer eben nicht im luftleeren Raum schwebenden Kommune angemessene und dann auch wirksame Lösungen anbieten zu können. Wohl wissend, dass das auf gewaltbereite und hassende Menschen keinen Eindruck hinterlassen wird.
Ich erwarte auch, dass sich der zuständige Fachausschuss intensiver als bisher, vielleicht auch in einer Unterarbeitsgruppe, mit den Sachverhalten kritisch auseinandersetzt und dem Rat entsprechende Handlungsvorschläge unterbreitet.

Was müssen wir gegenüber der Bevölkerung garantieren? Es darf in dieser Stadt keinen rechtsfreien Raum geben! Weder „national befreit“, nicht in islamischen oder anderen ethnischen Parallelgesellschaften und auch nicht in links-autonomen Stadtvierteln. Connewitz gehört nicht allein der autonomen Szene. Und an dieser Stelle sage ich aber auch deutlich: „Links autonome Lebensmodelle“ sind trotz gefühlter Nähe nicht per se mit einem „extremistischen Gewaltpotential“ gleichzusetzen.

Eine freie, offene, bunte, bürgerliche, tolerante, ja auch liberale Stadtgesellschaft von der dörflichen Idylle am Stadtrand bis zur Wagenburg braucht jedoch ein sicheres Umfeld und dafür den Schutz des Staates.
Daher brauchen wir eine Sicherheitsstruktur, in der vor allem die Polizei personell, materiell und strategisch für die jeweiligen Lagen ausreichend ausgestattet ist, aber sich auch nicht permanent in einem moralischen Rechtfertigungsdruck befindet. Wenn nach jedem Polizeieinsatz die üblichen Verdächtigungen gegen die Polizei ausgesprochen werden, bedeutet das nichts anderes, als eine Relativierung der Ursachen für den Einsatz.

Hoffen wir, dass sich keine Gewaltspirale entwickelt – sprechen wir eine deutliche, aber sachlich faire Sprache. Handeln wir konsequent dann, wenn wir uns Handlungsoptionen erarbeitet haben.
Aber bleiben wir bitte bei einem friedlichen Protest gegenüber jeder Form von Gewalt, vielleicht im neuen Jahr mit neuen Protestformaten, um auch hier keine Gewöhnungen eintreten zu lassen.
Vielleicht ist die Distanz des Protestes im öffentlichen Raum wirksamer als die Flugparabel von Pflastersteinen.