Redner: Axel Dyck, Vorsitzender der SPD-Fraktion

 

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Damen und Herren Stadträte,
werte Gäste!

Im November des vergangen Jahres wurde der interessierten Öffentlichkeit der Bericht zur „Gesellschaftlichen Verantwortung“ der KWL übergeben. Darin findet sich ein Interview der damaligen Geschäftsführer Schirmer und Heininger. Ich zitiere. Heininger: „Allein mit Blick auf die Entstehung der Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise fühlen wir uns darin bestätigt, dass Unternehmen gesellschaftlich verantwortlich agieren müssen. …Insofern stimmt die Richtung.“ Schirmer ergänzt: „ …, dass gerade ein öffentliches Unternehmen wie die KWL verantwortlich … agiert.“
Die Geschäftsführer sind aber ein wichtiger Teil eines Unternehmens. Im Bericht wird weiter über Marktrisiken gesprochen, hier taucht auch der Begriff Forderungsausfälle auf – gemeint ist aber, dass Kunden ihre Wasserrechnung nicht bezahlen – und es wird über finanzwirtschaftliche Risiken im Zusammenhang mit Bonität und Zinsentwicklung philosophiert. Und dann war da noch ein entscheidender Satz: „Das Risikoinventar wird jährlich durch einen Risikoausschuss überprüft und an die jeweiligen Veränderungen angepasst.“
Diese Worte zu Papier zu einem Zeitpunkt, wo beide wussten, dass ihre „Kacke am Dampfen“ ist. Der ganze Bericht muss unter den aktuellen Gegebenheiten als in Worte gegossene, philosophisch verbrämte Verantwortungslosigkeit der beiden Herren gegenüber ihren Mitarbeitern – an die müssen wir auch denken – ihren Kunden und ihren Gesellschaftern interpretiert werden.

Warum spanne ich diesen Bogen zu Beginn meiner Ausführungen zum Haushalt unserer Stadt?
Weil es um Verantwortung geht! Wir alle, so wie wir hier sitzen, haben Verantwortung übernommen. Verantwortung in unserem konsistenten Handeln, nicht vordergründig gegenüber den Mitgliedern von Parteien oder Vereinigungen und deren ideologischen Präferenzen, sondern Verantwortung gegenüber 520.000 Menschen in unserer Stadt, deren Lebensentwürfe so individuell sind, wie es sich für eine offene Großstadt gehört.

Verantwortung in Funktionen, in Mandaten und in Berufungen ist nicht teilbar.
Man kann nicht gleichzeitig stolz auf die Garantie für „sauberes Trinkwasser“ sein und über einen goldenen Türgriff einer Bank in London das „Wasserunternehmen“ in seiner Existenz durch Vermögensvernichtung gefährden.
Genauso wenig können wir als Stadtrat freiwillige kommunale Leistungen im Sozialbereich oder im Kulturbetrieb dauerhaft aufrechterhalten, garantieren oder gar verbreitern, wenn dadurch das Gesamtgefüge des Haushaltes aus der Balance gerät! Verantwortung ist nicht teilbar.

Unsere Stadt Leipzig steht aus meiner Sicht finanzpolitisch vor einem schwierigen Jahr und vor weiteren schwierigen Folgejahren. Dagegen besteht die Chance, dass sich die zweifelsohne positive Gesamtentwicklung unsere Stadt, sowohl auf der Ebene der harten Kennzahlen, als auch auf der Ebene der weichen Standortfaktoren weiter verstetigt, wenn wir mit unserer Politik bei 520.000 Menschen Akzeptanz erringen.

Neben dem nicht näher quantifizierbaren finanziellen Risiko, welches uns schon in diesem Jahr aus der KWL-Geschäftsführeraffäre droht, werden wir uns auch einem daraus abzuleitenden Imageschaden für Leipzig stellen müssen. Über den ebenfalls eintretenden allgemeinen Vertrauensverlust in die Kommunalwirtschaft und in deren Führungspersönlichkeiten will ich hier gar nicht erst sprechen.

Aber wir haben noch weitere Risikofaktoren und äußere Einflüsse auf die Haushaltsgestaltung zu berücksichtigen.
Während das KWL-Desaster durch individuelle Verantwortungslosigkeit begründet ist, bewegen wir uns im Folgenden auf der Ebene systemischer Verwerfungen in den Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. Ich muss das an dieser Stelle nicht näher erläutern. Der Sachverhalt ist bekannt. Generationen von Bundesregierungen, egal welcher Farbenlehre und Flaggenfarbe sie angehörten, haben die Finanzkraft der Gemeinden systematisch ausgehöhlt. Vor allem indem immer mehr Leistungen, die aus Bundesgesetzgebungen resultieren, ohne einen angemessenen Finanzausgleich den Gemeinden übertragen wurden.
Ich möchte das an dieser Stelle deutlich sagen: Die Menschen leben zuerst und vor allem und ganz in der Wirklichkeit ihrer Städte und Dörfer und nicht in den föderalen Ebenen Deutschlands. Deswegen müssen auch wir hier im Rat stärker als bisher und unter Zurückstellung parteiisch motivierter Interessenslagen eine tief greifende Gemeindefinanzreform  fordern, um damit die Systematik vom Kopf wieder auf die Füße zu stellen. Diese muss spätestens 2019 mit Auslaufen des Solidarpaktes in Kraft treten.

Die Finanzkrise schlägt schon in diesem Jahr mit voller Kraft auf die Kommunen durch. Damit wird die Finanzkrise lokal. Die Kosten werden quasi durchgereicht. Ursache ist, dass nicht wie bei früheren Rezessionen der Länderfinanzausgleich eintreten werden kann. Dieser ist gegenwärtig durch Finanzeinbrüche in den Geberländern massiv deformiert. Hinzukommt, dass durch das „Wahnsinnsbeschleunigungsgesetz“ geschätzte vier Milliarden den Ländern und Kommunen verloren gehen werden. Und zwar dauerhaft.
Die vorherigen Konjunkturpakete kosteten die Kommunen bereits Milliarden. Ich möchte der Ehrlichkeit halber nicht verschweigen, dass durch die Konjunkturpakete natürlich auch in Leipzig zumindest die Investitionskraft kurzfristig gestärkt wurde. Aber der Systemausgleich bleibt dauerhaft gestört. Und das ist kreuzgefährlich. Kurzfristiges Wachstum, ich sage hier nur „Irrsinn Abwrackprämie“, entzieht uns die Möglichkeiten für langfristige Zukunftsplanungen zur Wohlstandssicherung.

Die Investitionsfelder der Zukunft sind, ich komme darauf später im Konkreten noch mal zurück, Schulen, Universitäten und Bibliotheken, Schulbildung und Facharbeiterausbildung, Kinderbetreuung und Kindererziehung, Schwimmbäder, Museen, Musikschulen und Theater – Alltagskultur also, aber auch Fragen zur Wohnstruktur in einer Großstadt in vielleicht 20 Jahren, deren Basis wir heute in den Bebauungsplänen legen. Und was ist mit unserem Verkehr in 20 Jahren und Lärm und Luft und Wasser und Energie und der öffentlichen Sicherheit? Aber was passiert wirklich? In Wuppertal und anderen Städten stehen Theater- und Orchesterschließungen an. Der Direktor der Staatlichen Kunstsammlungen in Dresden spricht von Museenschließungen. Und in Sachsen wird das Polizeipersonal reduziert und die Ganztagsschulen nach der Modellphase beendet.
In Summe bedeutet das alles: Jeder Euro weniger gezahlte Einkommenssteuer kostet den Bürger mehr als das Doppelte, wenn er die gekürzten Leistungen der Kommune weiter in Anspruch nehmen will.

Das gefährliche daran ist: Wo der Bürger den Staat täglich erlebt, also in den Gemeinden, wird der Staat schwach. Ich nehme Leipzig dabei nicht aus. Dieses aufkommende Bild eines schwachen Staates ist gerade für ein Gemeinwesen problematisch, dass nach demokratischen Prinzipien organisiert ist.

Diese Auswirkungen können katastrophal sein. Richtig gewehrt haben sich die Kommunalpolitiker bisher dagegen kaum. Hoteliers haben in der Bundesregierung offensichtlich einen größeren Fürsprecher oder über ihre Lobbyisten einen besseren Zugang als die Kommunen.
Warum spreche ich heute darüber? Weil wir auch in Leipzig diese Zusammenhänge gegenüber den Bürgern nicht ehrlich vermitteln und zu oft den Eindruck erwecken, „Sagt uns eure Wünsche und wir werden Wege finden, diese zu befriedigen“. Dieser Weg erspart uns zwar viel Ärger im Diskurs mir den Bürgern, verschärft aber nach vorne gesehen unsere Zwangslage. Wer das nicht glaubt, muss nur mal einige HH-Anträge genau ansehen und er findet die Bestätigung.

Ehrlichkeit ist angesagt, um die wichtige Akzeptanz für unser Handeln zu erringen.
Herr Oberbürgermeister, ich erwarte von Ihnen klare Worte und entsprechende Forderungen gegenüber den Regierungen sowie schonungslose Offenheit und Ehrlichkeit über die genannten Auswirkungen auf die Stadt Leipzig.

Von der von vielen auch hier im Saal hoch gelobten ehemaligen Finanzbürgermeisterin und jetzigen Bundestagsabgeordneten, Frau Kudla, ist eher Schlimmes zu erwarten, als das sie für die Kommunen streitet; wer den Beleg sucht, sollte das Interview vom letzten Sonnabend in der LVZ lesen.

Wer mich näher kennt, weiß, dass ich mich eher den Berufsoptimisten zugehörig fühle. Aber hin und wieder ist das Glas eben auch halb leer.

Aber schauen wir mal auf die Seite, wo das Glas dreiviertel voll ist. Und das sind zweifelsohne die positiven Entwicklungstendenzen unserer Stadt in den zurückliegenden Jahren mit Perspektive nach vorn:

  • der stetige Rückgang der Arbeitslosenzahlen
  • die sichtbar positiven Auswirkungen aus der Umsetzung der Stadtentwicklungskonzepte
  • ein Kulturangebot, basierend auf einem sehr hohen Kulturetat, das in Umfang und Qualität einer Millionenstadt noch gut zu Gesicht stünde. Um es klar zu sagen, ich gehöre nicht zu denen, die hier sagen: „Wir leben über unsere Verhältnisse“ – die Frage steht aber im Raum.
  • die merkbaren Fortschritte beim Ausbau der Kindertagesstättenlandschaft
  • und – was ganz wichtig ist – mit der konsequenten, teils schmerzlichen Umsetzung der Entschuldungskonzeption brauchen wir alle hier im Saal, Rat und Verwaltung, uns nicht dem Pauschalvorwurf aussetzen, in vermeintlich fetten Jahren haben wir keine Vorsorge getroffen. Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht. Leider werden wir gegenwärtig auf START zurückgesetzt.

Meine Damen und Herren!

Wie sollte der weitere Weg aussehen und wo gibt meine Fraktion in Bezug auf den aktuell zu diskutierenden Haushalt Antworten?
Wenn in der großen weiten Welt über Armut gesprochen wird, fällt im Lösungsansatz als erstes der Begriff Bildung. Nun möchte ich hier an dieser Stelle nicht den Armutsbegriff erläutern und materielle oder geistige Armut in Deutschland in Relationen zu anderen Weltengegenden setzen; aber es ist schon von Bedeutung, wenn wir über das Zahlenmaterial im Lebenslagenreport diskutieren, über Altersarmut sprechen, über kostenfreies Schulessen reden; Begriffe wie Problemfamilien, soziale Verwerfungen, Jugendgewalt, Moral, Drogenmissbrauch, „Berufsperspektive Hartz IV“ verwenden müssen, auch immer über Bildung zu reden.  

Auch wenn im föderalen System quasi starre Zuständigkeiten im Bildungssektor zementiert sind und wir auch hier die teils mangelhafte Finanzausstattung der Kommunen beklagen – das was wir tun können, müssen wir tun. Ziel muss es sein, dass wir als Stadt in nicht all zu ferner Zukunft die Garantie aussprechen und dafür die Verantwortung übernehmen, dass kein Schüler die Schule ohne einen qualifizierten Abschluss verlässt. Und das nicht nur durch Absichtserklärungen.
Deshalb unsere Anträge zum Haushalt und den Wirtschaftsplänen, die natürlich nur Mosaikbausteine im Lösungsansatz sein können:

  • Freier Eintritt in allen städtischen Museen und gebührenfreie Nutzung der Stadtbibliothek für alle bis 18 Jahre
  • Zusätzliche Planungsmittel für den Bau und die Sanierung von Schulen
  • und die Forderung nach Ausweitung des Netzes für Schulsozialarbeiter an Mittelschulen, vor allem mit dem Ziel Hindernisse auf dem Weg zu einem Schulabschluss aus dem Weg zu räumen.

Ein Bildungsabschluss nutzt nicht viel, wenn danach nicht der Start ins Erwerbsleben möglich wird. Die SPD Fraktion wird in Zukunft die Themen Wirtschaft und Arbeit deutlicher als bisher fokussieren. Hierzu einige Anmerkungen zur Wirtschaftsstrategie und –förderung:

Ein für die langfristige Aufstellung interessantes Projekt, welches haushalterisch für 2010 unterlegt ist, ist die externe Evaluation der Clusterstrategie der Stadt Leipzig durch die Handelshochschule. Eine solche Evaluation ist bitter nötig! Wir erhoffen uns davon wichtige Erkenntnisse und Impulse. Denn keines der auch im Haushaltsplan genannten und unterstützten Cluster verdient auch nur den Namen, denn in keinem gibt es auch nur annähernd eine Wirtschaftskraft, welche als kritische Masse für einen Cluster mindestens erforderlich wäre. Schaut man sich die Anzahl und die Streuung der vermeintlichen Cluster an (Logistik, Gesundheit, Automobile, Energie, Medien, Biotechnologie) so muss man die Leipziger Wirtschaft realistischerweise als Gemischtwarenladen ansehen. Das wäre per se nicht schlecht, wenn es sich um eine sich selbst tragende Wirtschaftsvielfalt handelte. Aber die wenigen unterstützenden Mittel, die wir haben, müssen noch zielgerichteter eingesetzt werden.

Wir haben den Eindruck gewonnen, die finanziell untersetzten Programme der Wirtschaftsförderung werden lediglich abgearbeitet. Zitat Bürgermeister Albrecht: “Wir haben unsere Standardinstrumente”. Das klingt nach Verwalten statt Gestalten. Leider hat sich in den letzten Jahren der Eindruck gefestigt, Förderinstrumente werden um der Aktion willen geschaffen, ohne genau definierte und überprüfbare Zielstellung, vor dem Hintergrund einer Gesamtstrategie! Dies führt dazu, dass manche Instrumente von den Unternehmen bloß noch mitgenommen werden. Wichtig wird wohl für die Zukunft sein, den Erfolg der Leipziger Wirtschaftsförderung an klaren Kennzahlen zu messen und zu prüfen. Aber darüber reden wir ja schon seit Jahren. Herr Albrecht, noch mal unsere Aufforderung, verbunden mit einer „Gelben Karte“, beleben Sie das Ungetüm „Leipziger Aktionsplan Beschäftigung“ mit Kreativität.

Womit ich beim Thema bin. Rücken wir doch bitte die anerkannte Wirtschaftspflanze mit dem Namen Kreativität ganz nach vorne auf unsere Interessenskala. Alles was uns umgibt hat mit Kreativität begonnen. All das sind die Sieger im Wettbewerb der Ideen von den Menschen, die etwas unternommen haben und für sich und ihre Mitarbeiter Verantwortung trugen. Natürlich gibt es auch in diesem Bereich Verlierer und Risiken. Na und. Aber der Gewinn für uns alle kann enorm sein. Es geht um Beschäftigung, es geht um qualitatives Wachstum, es geht um individuelle Freiheit. Das Wichtigste und manchmal das Wenige, was wir hier tun müssen, ist Behinderungen beseitigen, verschlossene Freiräume öffnen sowie neuen und verrückten Ideen immer aufgeschlossen gegenüber stehen. Das steht dieser Stadt auch hier gut zu Gesicht.

Noch ein Wort zum Substanzverzehr. Nach dem Winter werden unsere Straßen, Geh- und Fahrradwege noch löcheriger sein als vorher. Das wird sich irgendwann mal in der Bilanz des NKF als Substanzverzehr bemerkbar machen. Die Werthaltigkeit unserer Infrastruktur ist aus unserer Sicht massiv gefährdet, wenn wir die Instandsetzung nicht gegenüber dem Neubau priorisieren. Deshalb auch hier unsere HH – Anträge, wenn gleich auf sehr niedrigem Niveau.

Zum Schluss noch etwas ganz anderes. Dieses Jahr ist nach 2009 für die meisten unter uns im Saal ein weiteres Jubeljahr. 20 Jahre Deutsche Einheit, 20 Jahre Freiheit auch in unserer Stadt, 20 Jahre frei gewählter Stadtrat – damit begann eine unvergleichbare positive Gesamtentwicklung unserer Stadt, für alle, die ehrlich bilanzieren wollen.
Wir wollen bis Oktober das streitige Thema Freiheitsdenkmal auf den Weg bringen. Da ist nicht mehr viel Zeit. Blamieren wir uns nicht.

Sehr geehrte Damen und Herren!
Wir werden in einem Monat den Haushalt verabschieden, bis dahin wird die Verwaltung uns einen Ausgleich vorlegen, mit den Verwaltungsmeinungen zu den Anträgen werden irgendwann alle glücklich und zufrieden sein.
Freuen wir uns bitte nicht zu früh. Es wird für uns alle ein sehr schweres Jahr.

Ihnen meine Damen und Herren danke ich für Ihre Aufmerksamkeit!